Das neue Europa. Chronik der gebildeten Welt

Hg. v. August Lewald. Karlsruhe: F. Gutsch & Rupp

Jg. 1846, 2. Bd.

16. Lieferung

 

S. 251-253: Berlin vor mehr als zwanzig Jahren. [anonym]

 

S. 251 [...] Varnhagen von Ense und seine Gattin Rahel hatten viel Einfluß auf Heine's Berliner Bildung. Nachdem er sein Drama: Radclif, geschrieben, das sich mehr der Ver-| [S. 252] derbniß unserer Zeit nähert, als Almansor, und darum viel Beifall fand, gab er ein Bändchen Gedichte heraus, die durch ihre Ironie der Gebrechen unserer Zeit, seinen dichterischen Ruf für immer begründeten. Die Jugend Berlins fürte sie bald im Munde, und am meisten Heine's ehemalige Glaubensgenossen. Varnhagen hatte damals noch nicht seinen Beruf als Biograph bekundet, und legte auf seine Gedichte wenig Werth. Rahel war eine geistreiche Sprecherin, als Schriftstellerin ist sie bei ihrem Leben nicht aufgetreten, außer in einigen Fragmenten über Goethe, die ohne ihren Willen im Morgenblatt abgedruckt wurden. Sie lebte mit ihrem Mann von größeren Gesellschaften zurückgezogen, gewöhnlich fanden sich des Abends zur Theezeit einige geistreiche Bekannte dort ein. Rahel hatte eine zahlreiche Verwandtschaft in Berlin, die sie in keiner Art zurücksetzte, obgleich ihr inneres Streben sie mehr zur Aristokratie hinzog und sie einzelnen Zweigen derselben ihr Haus öffnete. Die reichen Juden in Berlin machten aber auch damals die höchsten Ansprüche auf Vornehmheit und Bildung, obgleich sie noch nicht wie in Wien, geadelt wurden. Zwischen Rahel und Varnhagen fand ein inniges, tadelloses Verhältniß statt, ungeachtet er viel jünger als sie war. Niemals verläugnete er die zarteste Aufmerksamkeit und innigste Verehrung gegen sie, und erschienniemals als der mürrische, gebieterische, oft unfeine deutsche Hausherr. In ihrem Hauswesen war Rahel Herrin und stand ihm musterhaft vor, sonst beschäftigte sie sich mit Lesen und  Besuch annehmen. Als einst ihre treue Dienerin Dore über die Gebühr aus blieb, beschwerte sie sich darüber mit dem liebenswürdigen Ungestüm einer deutschen Hausfrau vor ihren Gästen. Varnhagen schwieg und lächelte - als aber bald darauf Dore zurückkehrte, ging Rahel hinaus, kam bald wieder herein und erklärte, daß Dore am Ausbleiben unschuldig sei. - Nun, sagte Varnhagen, Rahel wollte schelten, und hat selbst Schelte von Dore bekommen. - Die Gesellschaft lachte sehr, und dieser kleine Zug möge das innere Leben dieser edeln und geistreichen Menschen beleuchten. Was Rahels früheres Leben betrifft, so läßt sich annehmen, daß sie die Emancipation der Frauen an sich selbst erfahren habe. Die Lossagung individueller, egoistischer Geschlechtsliebe zu einer höhern allgemeinen Liebe. Das neunzehnte Jahrhundert sollte diese vollbringen. Der Wahn, daß die Frauen auf Erden nur zur Geschlechtsliebe bestimmt sind, rührt sicher noch aus der Sklaverei des Heidenthums her, und neunzehn Jahrhunderte hat es bedurft, ehe die Abgötterei aufhörte, die sie mit dieser Liebe getrieben haben. Die Dichter hatten sich bemüht, ihre Fesseln zu vergolden, und doch lehrte sie Christus schon, daß sie nur Ihn über Alles lieben sollten. Jetzt kann man freilich den Liebes- und Verführungsromanen gute Nacht sagen, die Frauen des neunzehnten Jahrhunderts werden sie nicht mehr lesen. Wir sehen in ihnen die erste Zeit des Christenthums wieder hervorbrechen. Sie bilden Kranken- und Armenvereine, und machen sich vielfach verdient um die Menschheit, auch dürfen sie Künstlerinnen und Schriftstellerinnen werden, und auf jede anständige Art ihre Existenz sichern. Der Hohn und Spott, den man sonst über alte Jungfern ausgoß, hat längst aufgehört und wird da, wo er sich zeigt, als ein Mangel an Bildung betrachtet; eben so ist das Geschrei über schreibende Frauen, ihre vernachlässigte Haushaltung u. s. w., längst vorüber. Jetzt spottet man der Jungfrauen, die auf Bällen und in Gesellschaften alle Künste der Koketterie aufbieten, um einen Mann und mit ihm oft jede Schmach und Erniedrigung zu erwerben. Es sind Thörinnen, die die freie Entwickelung ihrer geistigen Kräfte durch Fesseln von Noth und Brod hemmen, und bei der Uebervölkerung der Welt noch Kinder hinein setzen, die sie nicht ernähren können - und das Alles ohne Liebe, nur um keine alte Jungfer zu werden. Schon die Karschin singt:

Ohne Regung, die ich oft beschreibe,

Ohne Zärtlichkeit ward ich zum Weibe,

Ward zur Mutter - wie im wilden Krieg

Unverliebt ein Mädchen werden müßte,

Die ein Krieger nur gezwungen küßte,

Der die Mauern einer Stadt erstieg.

So sang eine Frau des achtzehnten Jahrhunderts; eine andere, Frau v. Stael, sagte zu einer jungen schönen Frau in Berlin, die zärtlich von ihrem Gemahl geliebt wurde: Sie Glückliche, Sie werden geliebt! Sie besitzen keine Talente, keinen Ruhm, aber [S. 253] Schönheit. - Die junge Frau, die auch geistreich seyn wollte, nahm der Frau von Stael diese Aeußerungen sehr übel und fand nur Stolz und Anmaßung darin, wobei sie gewiß irrte.

Wir sind nicht mehr im Mittelalter, wo vier und zwnazig Söhne ein großer Reichthum waren, wie Fanny Lewald in der Europa erzählt -  aber die Dichterin läßt die gute deutsche Hausfrau doch zu viel Kinder bekommen. Es war wohl auch schon damals eine Seltenheit, wenn sechs Söhne zugleich mit ihrem Vater in die Schlacht reiten konnten.

Rahel und ihr Gemahl waren in ihrem äußern Wesen sehr verschieden. Ihr geistreiches Gesicht trug stark ausgeprägte orientalische Züge; ihr Wesen war frei und offen, am besten durch das französische franchement bezeichnet. Varnhagen war dagegen ein blonder, wohlgebildeter Westphale, sehr jugendlich aussehend, und in Allem, auch das bebrillte Auge mitgerechnet, der feinste Diplomat. Wer ihn mit den Großen so höflich und vorsichtig sprechen hörte, dachte nicht, daß so viel Gefühl für Freiheit und Menschenrechte in seiner Brust wohne. In Gesellschaften machte er sich mehr durch das feine Eingehen in die Unterhaltung Anderer, als durch eigene Wortführung bemerkbar. Konnte er keinen Raum finden für seinen Geist, so schnitt er mit vollendeter Geschicklichkeit kleine Bildchen in Papier aus. Auch als Vorleser wurde er in einigen Gesellschaften geschätzt, aber Rahel besuchte diese nie mit ihm, weil ihr lebhafter Geist kein Vorlesen vertragen konnte.

So lange bei Menschen zu verweilen, die einen bedeutenden Einfluß auf unsere Zeit gewannen, wird Niemand bereuen. Bettina, von der man dasselbe sagen kann, war damals noch nicht Schriftstellerin, aber als originell und genial in ganz Berlin bekannt. Sie war eine geborene Brentano, Schwester des vorzüglich als mystischer Schriftsteller bekannten genialen Clemens von Brentano - und es ist selbtsam, daß sich viele Schriftsteller unter andern die Franzosen bemühen, sie zu einer Brentano zu machen, da doch ihr Vater, ein reicher Bankier zu Frankfurt am Main, vor der Zeit lebte, wo die Fürsten die Geldherren adelten, und der freie Sinn Bettina's unmöglich auf eine solche, noch dazu unrichtige Auszeichnung, Werth legen kann.

Bettina hatte damals in ihrer äußern Erscheinung etwas sehr Auffallendes. Gewöhnlich in schwarze Seide gekleidet, das schöne schwarze Haar nur wenig geordnet, ging sie unter den Linden, inmitten der höchsten eleganten Welt, die mit Federhüten und kostbaren Shawls prangte, harmlos auf und ab, und wurde von ihren Freundinnen gewöhnlich: Du kleine schwarze Henne! angeredet. In Gesellschaften strebte sie immer, wie Heine, sich als Genie zu bekunden, etwas Geistreiches oder Ungewöhnliches zu sagen, und das Herkömmliche zu verspotten. Eine verheirathete Schwester folgte ihr darum oft mit ängstlicher Beachtung, ohne daß Bettina darauf Rücksicht zu nehmen schien. Oft ging ihre Art und Weise zur Bizarrerie über, und sie erinnerte dann an das Prinzeßchen in Rom, das Goethe in seiner italienischen Reise schildert. Selten erschien sie mit Achim von Arnim, ihrem Gemahl, in Gesellschaft. Er war ein edler und schöner Mann, ein geistvoller Dichter und in jeder Hinsicht der Liebe Bettina's würdig; aber der Genius beider Ehegatten war zu verschieden. Arnim gehörte der Vergangenheit an; er hatte ähnliche Tendenzen mit Fouqué; Bettina's Geist wollte eine Zukunft schaffen. Dessen ungeachtet lebten Beide in Anstand und Zärtlichkeit mit einander. Neid und Verläumdung haben niemals dieß eheliche Verhältniß angetastet, und Bettina's Ruf ist fleckenlos. Sie war Mutter von sechs Kindern, die sie alle selbst genährt und später ohne überflüssige Glücksgüter, trefflich erzogen hat. Achim von Arnim brachte den Sommer immer auf seinen Gütern zu, aber Bettina vermochte, trotz ihrer frühern Vorliebe für das Landleben, nicht, ihm dahin zu folgen. Ihr lebhafter Geist wollte immerfort ausströmen und empfangen; sie blieb darum immer in Berlin wohnen. Als ihr Gemahl starb, erhob sich erst der Adlerflug ihres Geistes und sprach sich in Schöpfungen aus. Sie ist jetzt über sechszig Jahre alt und ihr Geist scheint noch immer jünger zu werden.

 

17.Lieferung

S. 258-268 [davon nur 258]

Berlin vor mehr als zwanzig Jahren.

III.

Die Verehrung, ja Anbetung Goethe's, theilte Bettina mit Rahel, jedoch auf verschiedene Weise. Sie hing an ihm mit der Phantasie einer Liebenden, wie dann auch ihre Briefe an ihn den antiken Ergießungen der reinsten platonischen Liebe zur Seite gestellt werden können. Sie trug in ihrer Brust ein Ideal, das sie an Goethe verkörperte, oder vielmehr vergeistigte. Rahel dagegen erkannte Goethe aus seinen Werken, in die sie zuweilen noch tiefern Sinn legte, als der Dichter selbst. Davon zeugt die wunderschöne Stelle in Rahel's Nachlaß, als sie aus Goethe's: Triumph der Empfindsamkeit, die Worte des Prinzen anführt: Ihr himmlischen Geister, gebt eurem folgsamen Sohn aus den Weiten der Welt, ein neues unbekanntes Glück!

Da sagt Rahel: Der Prinz hat alles Glück verloren; er hat nur noch eine Seele, und diese unfähig, sich selbst neues Glück zu schaffen, fleht die Gottheit an, ihr solches zu verleihen.

Ob Goethe, der nur eine Thorheit seiner Zeit verspotten wollte, solchen tiefen Sinn in die Worte legte, wäre zu bezweifeln; aber manches tiefe Gemüth, das sein Lebensglück zu Grabe trug, hat Rahels Worte nachempfunden. In Bettina's Briefen findet sich eine Stelle von gleicher Tiefe und Unendlichkeit; die, wo sie von ihrer Großmutter, Frau von Laroche erzählt, daß sie wieder zum Kinde werde: Ich muß ja ein Kind werden, läßt sie die würdige Frau sagen, denn ich gehe in ein neues Daseyn über. - Beide Stellen sind voller Unsterblichkeitsgefühl.

Karl Immermann trat um diese Zeit als Dichter auf, und schickte seine ersten drei Dramen an Heine. Er fand großen Beifall im Kreise der Varnhagen, und wirklich waren: Ronzeval, Edwin, Petrarka, der Adlerflug eines mächtigen, sich plötzlich entwickelnden Genius.

 

18.Lieferung

S. 279-281 (Schluß.) des Artikels

 

[Vita] [Exlibris]

[Salon] [Rahel] [Assing] [Varnhagen] [Kuriositäten]

[homepage] [rechtliche Hinweise]

Dr. Nikolaus Gatter D-50968 Köln fon:++ 49 (0) 221 16 81 27 18 fax:++ 49 (0) 221 16 81 27 18 Hausweilerstraße 2